Musterhäuser mit neuer Formsprache
Mit der Weissenhofsiedlung in Stuttgart wurde 1927 Architekturgeschichte geschrieben: Le Corbusier und andere Avantgardisten planten dort Musterhäuser in einer völlig neuen Formensprache. Mehr über die Entstehung, die Architekten und die Besonderheiten ihrer Entwürfe erfährt man bei einer Führung.
Die „goldenen Zwanzigerjahre“ mit ihrer blühenden Kultur- und Kunstlandschaft bringen heute manchen zum Schwärmen. „Das Jahrzehnt war aber nur für ganz wenige golden“, sagt Herbert Medek bei seiner Führung durch die Weissenhofsiedlung in Stuttgart. Über 500.000 Invaliden lebten nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland. Die Spanische Grippe hatte mindestens 300.000 Deutschen das Leben gekostet. Der Alltag war von wirtschaftlichen Schwierigkeiten, Hyperinflation und Arbeitslosigkeit geprägt. „Die Städte sind damals explosionsartig gewachsen, die Leute haben sich dort Verdienst, Freiheit und Zukunft versprochen, aber die Wohnungsnot war groß“, erklärt Fachmann Medek, der bis 2021 die Untere Denkmalschutzbehörde in Stuttgart geleitet hat. Außerdem ist er „Site Manager“, also Beauftragter für das UNESCO-Welterbe „Le Corbusier Häuser“ in Stuttgart.
Diese Wohnungsnot gab auch den Anstoß zur 1927 erbauten Weissenhofsiedlung. Mutige Menschen bei der Stadtverwaltung und beim Werkbund, einem Zusammenschluss von Architekten, Künstlern, Kunsthandwerkern und Unternehmern, ebneten den Weg für das Projekt, das etwas ganz Neues wagen sollte. Unter der Leitung von Ludwig Mies van der Rohe entwarfen 17 Architekten aus dem In- und Ausland Häuser in einer radikalen Formensprache. Mit dabei auch Le Corbusier, der damals schon ein Star war. Seine beiden Bauwerke in der Weissenhofsiedlung mit ihren typischen Stützen, langen Fensterbändern und Dachgärten wurden 2016 in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen – zusammen mit 15 weiteren Werken des Architekten.