Tag 1Entdecken, durchatmen, loswandern
Weiherblick und Wanderkick
Es fängt schon gut an. Hellblau und wolkenlos spannt sich der Himmel über den kleinen Weiher. Eine Fontäne schießt in die Höhe und kräuselt die Wasseroberfläche. Im Hintergrund ragen mittelalterliche Bauwerke empor, verzerrt im Wasser gespiegelt. Weiße Schirme entfalten sich. Eine junge Frau löst rasselnd die Ketten der Stühle und Tische. Das Weiherbistro rüstet sich für die sonnenhungrigen Besucher. Ein Herbstmorgen wie im Bilderbuch. Die Fachwerkstadt Eppingen erwacht zu neuem Leben. Und wir sind voller Tatendrang und Vorfreude. Gestiefelt und gespornt stehen wir am Startpunkt unserer Wanderung. Noch fühlt sich der Rucksack federleicht an, die Füße ebenfalls.
Verteidigung im Grünen: Eppinger Linien
Die Tour verläuft entlang der Eppinger Linien, ein heute noch gut sichtbarer Verteidigungswall mit Gräben. Einst flankierten sie den 40 Meter breiten Verhau aus Ästen und Baumstämmen. Grund für die wehrhafte Abschreckung war der Pfälzische Erbfolgekrieg im 17. Jahrhundert. Der französische König Ludwig XIV. begehrte die Ländereien des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden-Baden. Letzterer ließ die Anlage gegen den Vormarsch französischer Truppen errichten. Er zwang die Bewohner, die insgesamt 86 Kilometer lange Verteidigungslinie von Weißenstein bis nach Neckargemünd in leidvollem Frondienst zu erbauen.
202 Stäffele zum Glück
Ein Grasweg, feucht vom morgendlichen Tau, führt aus dem Städtchen hinaus. Felder und Wiesen rücken in unser Blickfeld. Am Ende des Wiesenweges tauchen wir in den Wald ein, die fernen Geräusche des Industriegebiets weichen einem Vogelzwitschern.
Schon bald eröffnet sich im Walddickicht ein Blick auf den gut erkennbaren Graben, an den sich der Pfad schmiegt: die Eppinger Linie. Doch nur ein kurzes Stück wandern wir gemütlich entlang der „Minischlucht“, bevor wir alle Kräfte mobilisieren müssen. Nach knapp dreieinhalb Kilometern erscheint die Himmelsleiter am Ottilienberg. 202 Stufen und 86 Höhenmeter erwarten uns.Unwillkürlich habe ich die Rockballade „Stairway to Heaven“ im Ohr. Zunächst beschwingt, später schwerer atmend, geht es hinauf. Oben angekommen, kreuzen zwei Rehe in schnellen, weiten Sätzen unseren Weg. Mit einem 200 Meter kurzen Abstecher gelangen wir zum Aussichtspunkt Kraichgau-Blick. Wir stehen auf dem Holzbalkon. Nur die Augen wandern weiter über die sanften, sattgrünen Hügel des Kraichgaus.
Geschichte trifft Gegenwart
Über unseren Köpfen wölbt sich ein dichtes Blätterdach wie ein Schutzschirm vor dem oft so hektischen Alltag. Dermaßen behütet wandern wir noch gute drei Kilometer weiter zum ersten Wachturm, Chartaque genannt. Einst diente die hoch geratene Blockhütte mit dem Antlitz eines Playmobilforts der Beobachtung des Feindgebietes. Heute schweift der Blick vom Turm über dichte Baumwipfel. Das nächste Highlight folgt auf den Fuß. Im Wald steht ein großer Tisch aus Metall mit zwei ungleichen Seiten. Es ist ein Werk des Gemminger Künstlers Hinrich Zürn, der uns mit seiner Kunst entlang des Weges begleiten wird. Die künstlerischen Installationen haben einen Bezug zur Geschichte der Verteidigungslinie. Erklärungen zu den Kunstwerken bietet das stählerne Buch neben den Skulpturen und eine App als digitaler Wegbegleiter.
Tipp
Lade dir vor der Wanderung die App „zeigmal“ herunter. Wie ein Wanderguide versorgt sie dich auf dem Eppinger-Linien-Weg mit spannenden Hintergrundinformationen. https://www.zeigmal.digital/ Großes Landschaftskino
Immer wieder wandern wir auf dem HW 8, dem 220 Kilometer langen Hauptwanderweg 8, auch Frankenweg genannt. Wir tauchen aus dem Wald auf und erreichen weite Obstwiesen und abgeerntete Felder. Ein Landwirt mäht dröhnend eine Wiese. Über ihm und uns kreist ein Milan, auf fette Beute hoffend.
Schon von weitem sticht der weiße König des Schachspiels am Waldrand hervor. 14 Kilometer sind wir bereits gewandert, als wir uns dem Kunstwerk „Bauernopfer“ nähern. Die nächste Installation folgt am Anstieg des Strombergs: zwei Spiegel mit dem verzerrten Konterfei der Landschaft. In natura ist die Sicht noch beeindruckender, wie wir uns am Kürnbacher Ausblick überzeugen können. Der Blick schweift bis zum Pfälzer Wald und ins Elsass. Eine Tafel klärt auf, welches Landschaftskino vor unseren Augen abläuft. Müde, aber glücklich beenden wir nach über 23 Kilometern unsere Tagesetappe in Sternenfels. Dort übernachten wir in einer Pension.