Beleuchtetes Wohnhaus in der Weissenhofsiedlung in Stuttgart

Eine Idee und was aus ihr wurdeDas Bauhaus Lebt!

16.5.2019von Hirsch & Greif
Weissenhof in Stuttgart, Walter Gropius in Karlsruhe und die Wiederbelebung der Bauhaus-Ideen in Ulm. Zum 100-jährigen Jubiläum der berühmten Kunstschule begeben wir uns auf Spurensuche
Man tritt über die Türschwelle – und fühlt sich wohl. Das schmale Treppenhaus wirkt mit seinen farbigen Wänden großzügig. Das Wohnzimmer hat ein Fensterband, das den Blick ins Grüne ermöglicht. Der Raum lässt sich ruckzuck in zwei Schlafzimmer verwandeln. Die Betten werden aus Schränken geschoben, eine Schiebewand trennt das Elternbett von dem der Kinder. Willkommen im berühmten Haus Le Corbusier in der Stuttgarter Weissenhofsiedlung!Andächtig wandelt man durch das Musterhaus von 1927, das heute Museum ist – trotz seiner klaren Formen ist es richtig gemütlich und immer noch sehr modern. Seit 2016 gehören die beiden Le-Corbusier-Häuser zum Weltkulturerbe der UNESCO. Heute sind sie, wie die gesamte Weissenhofsiedlung, als Beispiel des Neuen Bauens (zu dem auch die Entwürfe des Bauhauses zählen) international bekannt. Deshalb wird 2019 auch hier das 100-jährige Jubiläum der Gründung des Bauhauses gefeiert.
Modernes Haus in einer Wohnsiedlung bei Dämmerung
Ansicht Doppelwohnhaus vom Architekten Le Corbusier in der Nacht
Das Doppelhaus von Le Corbusier in der Weissenhofsiedlung in Stuttgart
1 / 2
Einst war die Meinung zu den 33 Flachdachbauten sehr geteilt, erzählt Anja Krämer, die Leiterin des Weissenhofmuseums im Haus Le Corbusier. „Wir Berliner blicken voller Neid auf Stuttgart“, schreibt damals zwar eine Hauptstadt-Zeitung. Und 500 000 Menschen kommen, um sich die Häuser anzuschauen. Aber dem Planer Ludwig Mies van der Rohe bläst auch ein rauer Wind entgegen. Als der Architekt seine Pläne für die Bauausstellung, die die Stadt mit dem Deutschen Werkbund ausrichtet, vorlegt, lehnen mehrere Stuttgarter Architekten die Ideen ab, nennen die Siedlung ein „italienisches Bergnest“ und „eine Vorstadt Jerusalems“. Der Gemeinderat in Stuttgart denkt damals visionär, er stimmt für die Pläne van der Rohes, und dieser engagiert 17 Architekten, darunter den Bauhaus- Begründer Walter Gropius und Hans Scharoun, der später die Berliner Philharmonie baut. Es entstehen 33 Häuser, von denen heute noch zwei Drittel stehen.
Ansicht eines Gebäudes der Weissenhofsiedlung in Stuttgart.
Die gesamte Weissenhofsiedlung ist als Beispiel des Neuen Bauens international bekannt.

Aus Stuttgart kommen viele Impulse fürs Bauhaus

Nur zwei Stuttgarter sind unter den Planern. Einer von ihnen, Adolf Gustav Schneck, baut 1929/30 in Bad Urach ein Kaufmanns-Erholungsheim, das Haus auf der Alb, in dem heute das Tagungszentrum der Landeszentrale für Politische Bildung untergebracht ist. Im Rahmen von Seminaren kann man in der Ikone des Neuen Bauens übernachten.
Aussenansicht des Haus auf der Alb im Bauhaus-Stil bei Tag
Das Haus auf der Alb wurde nach dem Vorbild des Neuen Bauens errichtet und beherbergt heute das Tagungszentrum der Landeszentrale für politische Bildung.
Wie wollen wir in Zukunft leben? Was verbessert die Lebenssituation der Menschen in Deutschland? Das Staatliche Bauhaus, das Walter Gropius 1919 in Weimar gründet, ist nicht nur eine Kunstschule – die Studierenden beschäftigen sich auch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen. Im Blick hat Gropius zwar „den großen Bau“ – ein Einheitskunstwerk mit fließenden Grenzen zwischen Architektur, Design und Kunst. Aber zunächst entstehen viele Designklassiker.Einige der Ideen, die damals in Thüringen entwickelt werden, dürfen als Importe aus Baden-Württemberg gelten: Oskar Schlemmer und der Schweizer Künstler Johannes Itten, die beide bei Adolf Hölzel an der Stuttgarter Kunsthochschule studiert haben, kommen als Bauhaus-Meister nach Weimar, um dort zu unterrichten. Deshalb sollte man bei einer Reise auf den Spuren des Bauhauses auch die Staatsgalerie im Stuttgarter Zentrum besuchen, um dort eine besondere Formation zu bewundern: die Kostüme des Triadischen Balletts von Oskar Schlemmer. Es feiert 1922 in Stuttgart Uraufführung. Hiesige Künstler gehen in Weimar ein und aus. Und der Chef des Bauhauses, Walter Gropius, baut nicht nur am Weissenhof mit. Unter seiner Leitung entsteht 1928/29 auch eine weitere Mustersiedlung des Neuen Bauens: der Dammerstock in Karlsruhe.
Blick in einen Ausstellungsraum auf dessen malve-farbenen Wänden zwei Gemälde hängen. In der Mitte öffnet sich ein Flur, der in einen pinken weiteren Raum führt.
Auszug aus dem triadisches Ballett von Oskar Schlemmer in der Staatsgalerie Stuttgart
Wer die Spuren des Bauhauses entdecken möchte, sollte unbedingt die Staatsgalerie in Stuttgart besuchen.
1 / 2

Die Bauhaus-Idee lebt nach dem Krieg weiter

„Viel Licht, viel Luft und viel Großzügigkeit, das wünschte man sich für die neue Siedlung im Dammerstock“, erzählt die Gästeführerin Gabriele Tomaszewski beim Rundgang. Die Zielgruppe waren ganz normale Bürger. Spannend: Die Dammerstock-Siedlung in Karlsruhe, wegen der Weltwirtschaftskrise nie fertiggestellt, wurde in Zeilenbauweise errichtet: Die Häuser sind so gebaut, dass morgens die Sonne ins Schlafzimmer scheint – und nachmittags in den Wohnraum. Zwischen den Gebäudereihen ließ man viel Platz. Heute spaziert man hier durch ein grünes, luftiges Quartier, das vor allem bei Familien sehr beliebt ist.
Wir sahen immer wieder, dass wichtige Anliegen der Gegenwart einfach nicht bearbeitet sind.

Inge Aicher-Scholl, Mitgründerin der HfG Ulm

War‘s das dann mit dem Neuen Bauen und dem Bauhaus, damals, als die Nationalsozialisten 1933 das Bauhaus in Dessau schließen? Natürlich nicht! Viele Künstler emigrieren. Sie bauen u. a. in Chicago und Tel Aviv Häuser, die auch Deutschland gut zu Gesicht gestanden hätten. Aber nicht nur dort, auch in Deutschland lebt das Bauhaus weiter. Und zwar in Ulm. Dort wird 1953 die Hochschule für Gestaltung (HfG) gegründet, die als die bedeutendste Design-Hochschule nach dem Bauhaus gilt. Auf dem vom Schweizer Max Bill entworfenen sehenswerten Campus, den Walter Gropius einweiht, experimentieren die Studierenden in den Bereichen Grafikdesign, Produktgestaltung, Architektur und Film. Eine Ausstellung im Gebäude erzählt die Geschichte der Hochschule, die nur bis 1968 besteht. Man trifft dort einmal mehr auf bekanntes Design: auf den Lufthansa-Kranich etwa oder das Stapelgeschirr. Aber die HfG hat noch etwas Wichtigeres mit dem Bauhaus gemeinsam: ihren politischen Anspruch. Museumsleiter Martin Mäntele nennt es den „antifaschistischen Gründungsimpuls“. Denn eine der Initiatorinnen ist Inge Aicher-Scholl, die Schwester von Hans und Sophie Scholl. Und Max Bill verkündet damals: „Die gesamte Tätigkeit an der Hochschule ist darauf gerichtet, am Aufbau einer neuen Kultur mitzuarbeiten.
Eine moderne Reihenhausreihe, umgeben von viel Grün.
Aussenansicht Hochschule für Gestaltung in Ulm im Bauhaus-Stil
Die Dammerstocksiedlung in Karlsruhe ist eine weitere Mustersiedlung des Neuen Bauens.
1 / 2